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Sommer 1840/Sommer 2008
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Karl August Varnhagen kurt in Kissingen
aus den Tagebüchern von Karl August Varnhagen von Ense, Band1, Leipzig 1861.

Kissingen, den 22. Juni 1840.
Montag Abends.
Ich wollte diese Tageblätter hier nicht fortsetzen, aber ich muß doch einiges aufschreiben, für künftige Erinnerung, zur gegenwärtigen Unterhaltung!
Die ganze bisherige Reise war farblos, unerquicklich, die Ankunft hier keineswegs vergnüglich. [...] In Melrichstadt geschlafen. Am Sonnabend um zehn Uhr vormittags in Kissingen. [...] – Es sind ein Drittheil weniger Fremde hier, als voriges Jahr, und gegen dreihundert Zimmer mehr.
Gestern und heute schon viele Bekanntschaften machen müssen. – [...]

Kissingen, den 3. Juli 1840. Freitags.
An Zerstreuung fehlt es nicht, ernsthafte und scherzende Gespräche in Fülle. Bilder aus allen Welttheilen drängen sich hier zusammen,ein Schatz von Eindrücken und Mittheilungen.
Nachmittags Unterredung mit Mad. Warre, die mich durch ihre hübschen Kinder gleichsam holen ließ. Sie hatte das Buch "Rahel" gelesen und die "Galerie von Bildnissen". Sie ist die Tochter des französischen Generals Danican, eines alten Royalisten, Condéers und Quiberonisten, der bei der Restauration nichts gewann, sondern auf's neue in's Ausland ging; Soult und Blacas waren ihm gleicherweise entgegen. Er lebt seit vielen Jahren in Itzehoe. Die Tochter heirathete einen tüchtigen Seemann, Herrn Warre, spricht vollkommen Deutsch, und theilt die Gesinnungen ihres Vaters. Sie wollen sich nun in Baden ankaufen.
Die Stiftsdame Gräfin von Stürpk aus Grätz erzählt mir von der Herzogin von Berry, dem Marchese Lucchesini-Palli, dem Herzoge von Bordeaux etc.
Die drei Fräulein, Miß Colvin, Miß Best und Miß Carrington, heißen meine pupils, weil sie sich im Deutschen mit mir üben.
Die Königin von Württemberg ist am Brunnen erschienen. "Das kleine Königreich muß viel vorstellen", sagt eine vornehme Dame.
[...]
Kissingen, Montag, den 6. Juli 1840.
Herr von Schröter aus Parchim ist hier angekommen.
Herr von Wedemeier, der dicke Edelmann, der eine Dame im Ernste gefragt, ob sie auch mit Kindern behaftet sei, läßt sich mir vorstellen. – Herr von Skaratin. – General von Stockhausen.
Abends beim Brunnen nimmt mich die Königin von Württemberg gleich in's Gespräch, udn ich muß lange mit ihr auf und abgehen; die Prinzessinnen zur Seite, munter und neugierig. Einfaches Reden, leicht und bequem; die Königin spricht recht gut, graziös und verständig; sie erzählt mir von ihren früheren Verhältnissen, daß sie in Rußland geboren worden und vierjährig von dort nach Deutschland gekommen sei, von ihrem Vater und Schwager etc., dann von ihrem hiesigen Leben, daß sie das nächste Konzert besuchen und den übermorgenden Ball, dem sie zwei tanzlustige Töchter zuzuführen habe etc.
[...] Meine vier Sprachen sind hier täglich in lebhafter Bewegung und schneller Abwechselung. Deutsch und Französisch rollen gemächlich dahin, Russisch beschäftigt Aug' und Ohr, Englisch hilft knarrend aus!
Kissingen, Dienstag, den 7. Juli 1840.
[...] Die Russen heute sämmtlich in Bocklet, dort den Geburtstag des Kaisers zu begehen.
Sturm und Regengüsse, mit Sonnenblicken. Die Beleuchtung des Kurplatzes zur Vorfeier des Geburtsfestes der Königin von Baiern wurde durch den Regen verhindert.
Herr von Bonin aus Berlin, der Blonde; der Schwarze wird auch kommen.

Kissingen, Donnerstag, den 9. Juli 1840.
Der gestrige Festtag ist denn auch vorübergegangen, nicht ohne Anstrengung für mich.
Auf dem Ball war es gedrängt, Herren und Damen im Staat, im größten die Königin mit den beiden Prinzessinnen. Der Erbgroßherzog von Sachsen-Weimar hatte sich eingefunden, auch andre Herren, und so fehlte es nicht ganz an Tänzern. Die ältere Prinzessin von Württemberg eröffnete mit Herrn von Rotenthan den Ball, – vorher hatte die Königin eine Polonaise zwei Minuten lang geführt. Das Gedräng war schrecklich; die vornehmsten Damen standen darin versteckt; Frau von Paschkoff und Frau von Stolüpin ganz abseits eingeklemmt; ich bedaure sie, so stehen zu müssen. "Ei", sagt die letztere, "so machen Sie, daß wir sitzen können, bringen Sie uns doch Stühle!" – Befehlen Sie mir, was möglich ist, erwiderte ich ernst. – Die Damen lachen, es war wirklich kein Schritt, keine Bewegung möglich, und die Königin dicht bei uns, umdrängt von Beeiferten. Nachher sag' ich zu Frau von Stolüpin, sie könne sich retten, wenn sie tanze. "Fordern Sie von mir, was möglich ist", antwortet sie. Ich sage, wenn ich so sicher sei, so von ihr zu hören, was ich ihr gesagt, so würde ich meine Reden zu meinem größten Vortheil einrichten! – Dies kleine Begegniß war ungemein artig, durch die Umstände gehoben, durch die Schönheit und Eleganz der beiden Damen, durch ihre graziöse Laune.
Die Königin sprach mit mir mehr als gnädig; warum ich so leicht bekleidet ginge, sie hätte mich ja schon gewarnt, aber sie sehe mich noch immer morgens früh bei größter Kälte im bloßen Leibrock, – auch das hatte was Launiges, – auch das hatte was Launiges, – mir wendet sich jetzt fast alles in Scherz und Laune [...].
Kissingen, Freitag, den 10. Juli 1840.
Tettenborn gestern Abend hier angekommen! Herzlicher Empfang, innige Freudigkeit! Er sieht noch ganz gut aus, stark und muthig, sogar noch prächtig, ist aber sehr leidend und unrüstig; die Generalin gütig und lebhaft wie sonst. Tausend rasche Mittheilungen durchkreuzen sich, der Lebenden wird gedacht, der Todten, – insbesondre Bentheim's mit großem Bedauern. Tettenborn erzählt mir von Metternich, derselbe habe meinen "Wiener Kongreß" der Fürstin vorgelesen; strichweise auch ihm und Andern, und öfter dabei ausgerufen: "Das heiß ich schreiben!" [...]
Der König von Baiern ist heute hier durchgestürmt. Er sieht viel älter aus, als voriges Jahr, und gefällt niemanden. Man sagt, er glaube wirklich an die Vorhersagung, daß er im Jahre 1842 sterben werde, und richte darnach alle seine Unternehmungen ein.
[...] Der Erbgroßherzog von Sachsen=Weimar ladet mich zu seiner Mutter der Großherzogin nach Wilhelmsthal ein, wo auch seine Schwestern, die Prinzessin von Preußen und die Prinzessin Karl, sein werden. Ich denke nicht, daß ich hingehe.
Der König von Baiern ist heute hier durchgestürmt. Er sieht viel älter aus, als voriges Jahr, und gefällt niemanden. Man sagt, er glaube wirklich an die Vorhersagung, daß er im Jahre 1842 sterben werde, und richte darnach alle seine Unternehmungen ein.
Der würtembergische Minister Freiherr von Maucler läßt sich mir vorstellen, und beruft sich auf seine Schwester Gräfin von Zeppelin, die eine Freundin von Rahel gewesen sei.
Fräulein von Uttenhoven, Stiftsdame, Verfasserin eines Gedichts auf den Prinzen Louis Ferdinand, das sie mir schicken wird. Sie legte als junges Mädchen auf den Sarg des Prinzen, als er in Saalfeld beigesetzt wurde, einen Lorbeerkranz.
Mit dem badischen Bundesgesandten Herrn von Dusch nähere Gespräche; Reizenstein, Metternich etc.
Meine drei englischen "pupils" waren heute zusammen auf dem Platze. Fast kann ich Harriet Rolleston als vierte rechnen.
Konzert auf der Schlag- und Streich–Zither, von Petzmayer. Die Königin dort. Unergiebig, früh macht' ich mich fort.
Frau von Stolüpin, Frau von Paschkoff; Kapitain Hill und seine Frau.
[...]
Nachmittags mit Tettenborn's, Zedlitz, Frau von Franken und Fräulein von Baumbach, beiden Fräuleins von Seckendorf, dem Erbgrafen von Waldburg–Zeil, Frau von Sanguinetté, Frau von Blomberg, Fräulein von Uttenhoven, Fräulein von Rottenhof u. A. unter den Bäumen am Tisch beisammen.
Gestern ist meine Uebersetzung von Lermontoff's "Bela" zum Schlusse gelangt.
[...]
Kissingen, Sonnabend, den 18. Juli 1840.
Die Königin von Württemberg erzählte mir heute früh im Spazirengehen ihre gestrige Fahrt nach Brückenau; der König von Baiern hat sie in der heißen Mittagssonne einen hohen Berg hinauf geführt; sie stellte es komisch als ein Opfer dar, das er seinen Gästen gebracht, als eine liebevolle, gütige Aufmerksamkeit. Von diesem Steigen und dem fünfstündigen Zusammensein mit dem Könige, dessen Gespräch sehr anstrengend ist, – weil er schwer hört, undeutlich redet, und keine Antwort abwartet, – war die Königin ganz erschöpft, rühmte sich aber, es habe ihr eigentlich doch nichts geschadet. Das war der Gewinn von der Spazirfahrt und dem Besuch!
Einladung zur Nachmittagsparthie nach Klaushof. Ich lehnte es erst ab, ließ mir aber dann doch zureden, und fuhr um drei Uhr allein ab. Schöner Weg im Bergwalde. Die Gesellschaft kam bald. Kaffee im Zimmer, dann kleine Spiele im Freien. Der Prinz von Sachsen-Altenburg, Herr von Rotenthan. Die Prinzessinnen und die Königin selber spielen mit; ich, der Aelteste von allen Theilnehmern, auch. Im Fangspiel erhasch' ich die Königin, sie muß mit mir laufen. Im Schnurspiel sucht man ihre Hände zu treffen so gut wie andre. Die Prinzessinnen sind voller Vergnügen und Lachen. Bei aller Lustigkeit blieb doch ein fester Anstand, eine bewußte Aufmerksamkeit sichtbar. Die Königin vereinigte Unbefangenheit und Würde, sie war eine graziöse Erscheinung.
Noch ganz erhitzt kam ich nach Hause. Zum Brunnen, wo man schon lange trank. Die Königin rief mich gleich wieder. Ich mußte über eine Stunde mit ihr gehen. Das ermüdete mich über die Maßen; aber es war nicht zu ändern, sie sprach immer mit mir, und niemand löste mich ab. Sie erzählte von dem Leben in Stuttgart, von dem schwäbischen Volk, ausführlich von Lady William Russell.
Bei Tettenborn anderthalb Stunden, mit Schulenburg und Zedlitz.
[...]
Kissingen, Donnerstag, den 23. Juli 1840.
Gestern war ein Tag des Unwohlseins für mich, und der Anstrengung. Frühmorgens mit der Königin, Mittags, Abends. Bei der Mittagstafel war ich sehr leidend und überließ das Gespräch meist den Andern. Ich hätte gern die Einladung abgelehnt, aber es ging nicht, da ich schon ein paarmal bei Tettenborn gegessen hatte. Die Königin erzählte von Italien, vom Theater dort, dann war von Justinus Kerner und seinen Geistern die Rede, vom Somnambulismus, von Tübingen.
Nachmittags kam der Fürst von Waldburg-Zeil zu mir. Ich besuchte meine pupils, die alle drei beisammen waren.
Abende bei Tettenborn, dann eine halbe Stunde mit Frau von Tettenborn auf den Ball.
[...]
Kissingen, Freitag, den 24. Juli 1840.
Mit der Königin frühmorgens am Brunnen gelustwandelt. Ich erzähle ihr, ich wolle die Kissinger Kurliste mit Bemerkungen herausgeben, ich hoffte, das Buch würde reißend abgehen; wer hier gewesen, würde es haben wollen, wer nicht hier gewesen, nicht minder. Sie fragt: "Wird es anonym sein?" – Nein, die Personen werden ihre Namen alle finden, und manche gar nicht gern. – "Ich meine, ob sich der Verfasser nennen wird?" – O der wird alle Ursache haben, ungenannt zu bleiben! Wie wird am auf den schelten! Die Getadelten werden sagen, es sei ihnen zuviel geschehen, die Gelobten, es sei viel zu wenig. – Sie meint, da sie auch zu diesem Publikum gehöre, so urtheilt' ich doch wohl zu streng, sie könne schon einigen Tadel ertragen und ein wenig Lob auch genüge ihr.
Gleich darauf nahm mich Herr von Nagler unter den Arm, und vertraute mir, daß seiner Meinung nach ganz gewiß der Geheimerath Eichhorn, der Direktor im auswärtigen Ministerium, an Altenstein's Stelle kommen werde. – Dann sagt er mir, er sehe, ich lebe hier in der Sphäre alles Hohen und alles Schönen, da wolle er mich auf eine junge Engländerin aufmerksam machen, er und seine Frau seien ganz betroffen gewesen, als sie ihrer ansichtig geworden, so lieblich und fein sei ihre Erscheinung. Nun beschreibt er diese, Zug um Zug Miß Colvin! Ich erwiedere, diese brauche ich nicht erst kennen zu lernen, sie gehöre zu meinen pupils! Nachher führte ich sie zu ihm, er bestätigte es, ja, diese meine er. – Ganz artig. [...]

Kissingen, Sonntag, den 26. Juli 1840.
Gestern Vormittags nur wenig mit der Königin gesprochen; Abends aber sehr lange mit ihr gegangen, und dann unter der Säulenhalle eine Stunde lang neben ihr gesessen, in beständigem Gespräch, das persönlicher und vertraulicher war, als jemals vorher, auch von politischer Beziehung. [...]
Beim Brunnen heute früh mit den Prinzessinen gegangen, die mich anriefen. Mit Herrn von SChröter, mit Miß Best und Miß Carrington.
Eichhorn wirklich Kultusminister.

Kissingen, Montag, den 27. Juli 1840.
Sonderbar, es geht mir hier mit den Menschen über alle Gebühr gut, ich werde ausgezeichnet, geschmeichelt, gesucht, von Allen, von geistreichen, liebenswürdigen, hohen, interessanten Personen, – [...] wir haben die merkwürdigsten Gespräche, die heitersten Scherze; aber alles dies befriedrigt mich nicht, die Gesellschaft im Ganzen bringt mir die tödtlichste Langeweile, und ich weiß auch recht gut, warum; mir fehlt dabei doch immer die feste Grundlage des Lebens, mir fehlt Arbeit, mir fehlt Herzensumgang. Für ein bloßes Weltleben in Genuß und Selbstsucht bin ich nicht gemacht! [...] Nagler sagte mir neulich im Scherz, er habe mich einen Vormittag beobachtet, und an die achtzig Ansprachen gezählt, die ich gehabt! Nun freilich, bei den meisten Landsleuten wird er es so hoch nicht bringen. Auch die Engländer leben abgesondert, zum Theil auch die Russen. Wenn meine geselligen Anlagen hervorstechen, so ist es großentheils dadurch, daß die der Andern so sehr zurücktreten.
[...]
Mainz, Freitag, den 31. Juli 1840,
Kissingen gestern Vormittag um elf Uhr verlassen. Die Königin und die Prinzessinnen bedauerten, daß ich nicht länger bliebe, sie dankten mir für manche gute Stunde, die sie durch mich gehabt. Schulenburg, Pechlin, Frau von Blomberg, die Engländerinnen bezeichnen mir lebhaft ihr Leidwesen. Tettenborn ist ganz gerührt, eine Thräne in seinem Auge, küßt er mich immerwieder, ruft mir heftig zu, ich sei der treuste aller seiner Freunde, wie oft schon habe er das anerkannt! Auch die Generalin weint. Herzliche Versicherungen! Für mich ein tröstliches Gefühl, hier lauter wohlwollende, fast dankbare Menschen zu hinterlassen! Gegen einige war ich doch unwirsch, aber sie machten es auch darnach; Levas, der taktlose Schnorrer, Wedemeyer, List, der politische Schwätzer, der pumpe Zudringling. Doch nahm ich auch von letzterm freundlich Abschied.
Ueber Hammelburg, Gmünden und Lohr durch den Spessart bis Hessenthal, wo ich schlief.
Heute über Aschaffenburg und Frankfurt nach Mainz. Um fünf Uhr angekommen.

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12.07. 2008

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