Almanach 1: beim Verlag noch lieferbar
Wenn die Geschichte um eine Ecke geht. Hg. v. Nikolaus Gatter unter
Mitarbeit von Eva Feldheim und Rita Viehoff. Berlin: Berlin Verlag
Arno Spitz GmbH 2000, 320 S., 44 Abb., kart. 48,- DM ISBN 3-8305-0025-4;
ISSN 1439-6254
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Besprechung in hsozkult
Almanach 2(2002):
Makkaroni und Geistesspeise. Hg. v. Nikolaus Gatter unter Mitarbeit
von Christian Liedtke und Elke Wenzel. Berlin: Berlin Verlag Arno
Spitz GmbH 2002, 424 S., Abb., kart. 35,- Euro, ISBN 3-8305-0296-6;
ISSN 1439-6254
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Besprechung in hsozkult
Almanach 3(2015):
Der Sopha schön, und doch zum Lottern.
Hg. v. Nikolaus Gatter unter Mitarbeit von Inge Brose-Müller und Sigrun Hopfensberger. Berlin: Berliner Wissenschafts-Verlag 2015, 528 S., Abb., kart.
49,- Euro, ISBN 978-3-8305-0579-2
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Besprechung in hsozkult
Leseprobe aus Almanch 1
Zu den Porträtskizzen
von Oliver Jordan
»Ein ähnlich Bild könnte mich sehr freuen. Friedels
Bild
hat Mama, weil ichs massakriren wollte.« Rahel Levin
an Georg Wilhelm Bokelmann, 7. 12. 1802 (GW VIII, 177).
Fresken der Zeit malt Oliver Jordan in seinen
Porträts. Als käme sie nach einem mühsamen Prozeß
des Restaurierens wieder zum Vorschein, blickt Rahel uns in seinen
Arbeiten durch Schichten, Schrunden und Farbpartikel hindurch an.
Wir können ausprobieren, wie sich die spröde, aggressive
Spachtelarbeit als Seherlebnis vor die schmelzenden, schwebenden
und generierten medialen Imitate drängt.
Hans Heinz Holz schildert in seinem Buch Vom Kunstwerk zur Ware.
Studien zur Funktion des ästhetischen Gegenstands im Spätkapitalismus
(1972) ein Phänomen, das uns Oliver Jordan man möchte
fast sagen: absichtlich vor Augen führt (S. 200): »Im
Bereich der sinnlichen Anschauung ist der Reflexionsgegenstand das
Bildwerk. Um einen Weltgehalt wiedererkennbar fixieren zu können,
muß der Prozeß, in dem dieser Gehalt steht, an einer
Stelle gleichsam stillgestellt werden. Diesen Stillstand (in dem
auch mehrere Querschnitte durch die Zeit zu einer typischen
Ansicht zusammenfallen können) hält das Bildwerk fest.
Es leistet damit für die Anschauung das gleiche wie das Wort
für die Sprache.«
Wir haben die Naivität verloren, uns historische Stoffe unreflektiert
anzueignen. In diesem Buch konfrontiert uns der Maler gleich mit
fünf verschiedenen Rahels (S. 106, 109, 161, 312, Titel). Dies
ist jedoch keine Willkür und nicht destruktiv gemeint. Den
Maler interessieren »vor allem der Graben, der sich da aufgetan
hat«, und die Verluste, die keine Kunst zu kompensieren vermag:
»Uns fehlt ja heute auch der Boden, das ist ja gerade das,
was die Moderne ausmacht, der Boden, die Tradition ist weg.«
Oliver Jordan hält an dem fast altmodisch anmutenden Anspruch
der Polyfunktionalität von Kunst fest. Er tut dies in seiner
bewußten Entscheidung für die Bildgattung Bildnis
neben seinen ausladenden Landschaftstableaux. Die hier abgebildeten
RahelStudien nach dem Pastell von P. Friedel stehen in einer
Reihe von Portraits, die Jordan nach seinem Florenzaufenthalt im
Jahr 1982 begann. Ihre Titel sind für synästhetische Assoziationen
offen. Historische Maler hören zeitgenössische Musik,
wie in den Ölbildern Rembrandt hört John Lee Hooker, John
Lee Hooker singt für Rembrandt oder Max Beckmann hört
Miles Davis. In dieser imaginären Galerie man glaubt
Rahel über den Graben hinweg rufen zu hören: »Freunde,
Gleichgesinnte, nur herein!« , zu der sich die Porträts
verdichten wie beim Rendezvous der Freunde von Max Ernst, begegnen
wir unter anderen Heinrich Heine, Joseph Beuys, Maria Callas, Vincent
van Gogh, Heinrich Böll und eben auch: unserer
Rahel.
Kornelia Löhrer
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