Weinsberg und die Weibertreu
Den Ehepaaren Rahel und Karl August Varnhagen,
Rosa Maria und David Assing war der Dichter, Arzt
und 'Geisterseher' Justinus Kerner (1786-1862)
aufs Freundschaftlichste verbunden. Sein Sohn
Theobald verewigte die Namen der Besucher auf
der Burg Weibertreu: Es ist, von den Grabstellen
in Berlin und Florenz abgesehen, das einzige aus
dem 19. Jahrhundert noch vorhandene Varnhagen-Denkmal.
Im Jahr 2005 beglückwünschen wir den
Justinus-Kerner-Verein
und Frauenverein
e. V. zu seinem 100jährigen
Bestehen. Seit 1905 führt der der Verein
den von Justinus Kerner gegründeten "Frauenverein"
fort und betreut das Kernerhaus, die Burg Weibertreu
und zahlreiche andere Gedenkstätten in Weinsberg
bei Heilbronn, die an das Wirken des Dichters,
Arztes und "Geistersehers" Justinus
Kerner erinnern.
Die Varnhagen Gesellschaft
zu Gast beim Justinus-Kerner-Verein in Weinsberg
Für Karl August Varnhagen war Justinus Kerner
einern seiner wenigen "Duzfreunde" aus
früher Zeit (sie lernten sich beim Medizinstudium
in Tübingen kennen), und gemeinsam mit Rahel
hat er später Weinsberg besucht. Kerner und
seine Frau Friederike Ehmann waren außerdem
aufs freundschaftlichste verbunden mit Varnhagens
Schwester Rosa Maria und ihrem Ehemann David Assur
Assing. Diese Freundschaft setzte sich bei Ludmilla
Assing und Kerners Sohn Theobald fort.
Ein Feuilleton von 1869 hat Weinsberg zum "eigentlichen
Mekka der deutschen Frauen" erklärt.
Für die Varnhagen Gesellschaft e. V. war
es daher eine besondere Ehre, daß wir in
diesem Jahr auf Einladung des Justinus-Kerner-Vereins
die Jahresversammlung in Weinsberg abhalten konnten.
Im Begleitprogramm besichtigten wir das Kernerhaus
sowie die Burg Weibertreu mit Inschriften der
Varnhagens und Assings unter sachkundiger Führung
von Hans Göbbel und Manfred Wiedmann.
Am Samstagabend, den 1. Oktober, veranstalteten
wir einen Rezitationsabend und eröffneten
eine kleine Vitrinenausstellung, die für
zwei Tage in der Weinsberger Baukelter (heute
eine Musikschule) zu sehen war. Am 2. Oktober
fand von 11.00-13.00 im Kernerhaus unsere vergleichsweise
gut besuchte Mitgliederversammlung statt. Dank
gebührt auch Margarete Drautz, Dr.
Bernd Liebig und dem Bürgermeister von
Weinsberg, Stefan Thoma, der ein Grußwort
sprach.
Über den Rezitationsabend schrieb Martina
Kitzing-Bretz in der Heilbronner Stimme
vom 5. Oktober 2005: "Die Freunde kannten
sich bereits seit Kerners Studienzeit, und es
war eine glühende Freundschaft, die die Familie
Kerner mit den Varnhagens, und mit der Familie
von dessen Schwester Rosamaria, den Assings, verband.
Eine Freundschaft, wie man sie heute kaum noch
findet, und die sich niederschlug in der Idee
Kerners, in einer einsamen Waldhütte 'als
glückliche Menschen' zusammenzuwohnen. (...)
Die Korrespondenz von Varnhagen und seiner Frau
Rahel, die um die 6000 Briefe geschrieben hat,
lebendig zu halten und der Forschung freien Zugang
zu den zerstreuten Beständen zu ermöglichen,
hat sich die Varnhagen Gesellschaft e. V. auf
die Fahne geschrieben. Ihr Vorsitzender Nikolaus
Gatter trug im Wechsel mit Angelika Mensching-Oppenheimer
den Briefwechsel der drei Familien vor und führte
in den geschichtlichen Kontext ein. Dieser gestaltete
sich besonders interessant in der Zeit der Märzrevolution
von 1848, als die glühende Freundschaft zwischen
Kerner und Varnhagen für eine Weile abkühlte.
(...) Doch anläßlich des Todes von
Varnhagen im Jahr 1858 notiert Kerner: "Der
schnelle Tod meines Freundes zernagt mein zerrissenes
Herz vollends." Die Nichte Varnhagens, Ludmilla
Assing, die wegen der Veröffentlichung der
Tagebücher ihres Onkels zu einer Freiheitsstrafe
verurteilt wurde, schrieb 1879 über die Freundschaftsglut
der Eltern an Theobald Kerner: 'Für mich
haben die Briefe etwas Rührendes, dergleichen
Gefühle sind sehr selten.' Die hohe Briefkultur
der Zeit, als die Post noch zweimal jährlich
zugestellt wurde, machte den Zuhörern auch
eine Begleitausstellung deutlich, in der beispielsweise
ein Briefsteller, ein Ratgeber zum Verfassen von
Briefen, zu sehen war."
Unser Mitglied Ulrich Grammel hatte
mit seinem Kernerhaus-Vortrag über Rahel
Varnhagen, der die Beziehungen zu Süddeutschland
nachzeichnet, den Boden für diese fruchtbare
Zusammenarbeit bereitet. Er lud uns auch zu einem
kleinen Umtrunk am 3. Oktober um 11.00 im Kleist-Archiv
Sembdner der Stadt Heilbronn ein, wo uns Archivleiter
Günter Emig die Geschichte des Archivs
und seine Arbeit vorstellte. Emil Englert,
Vorsitzender des Kerner-Vereins, beschenkte unsere
Vereinsbibliothek mit Kernerliteratur, dem Märchen
Prinzessin Klatschrose von Theobald Kerner
und einer 'Klecksographie'. Wir hoffen auf weitere
gute Zusammenarbeit mit den vorbildlich engagierten
Mitgliedern des Justinus-Kerner-Vereins e. V.,
der in diesem Jahr sein hundertjähriges Bestehen.
Ein Gedicht von
David Assing, dem Ehemann von Rosa Maria Varnhagen:
An Friederike und Justinus Kerner, als meine
Frau und Kinder sie besuchten.
(Juli 1833)
Wie man ein alt Gemäuer wohl erneut,
Wenn nahe es dem endlichen Verfalle,
Und schreibet drauf die gegenwärt'ge Zeit,
Daß mit der alten sie zusammen falle:
So wollen wir in gegenwärt'gen Stunden
Den alten Bund erneu'n, der uns verbunden!
Und könnt den alten besser ich erneu'n?
Als wenn ich Weib und Kinder zu euch sende,
Die Holden, die das Herz mir tief erfreu'n,
In meines trüben Lebens Sonnenwende.
Wenn euch und eure Kindlein sie umschließen,
Wird neu' und alte Zeit zusammenfließen!
So wird der alte Bau belebet neu,
Wenn mit dem Alten Junges sich vereinet;
In neuem Lichte glänzt die alte Treu',
So wie der Mond auf alte Burgen scheinet. -
Wir sind die alte Burg, vom Mond beschienen,
Um die im Lenz die jungen Saaten grünen!
D. A. Assing
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