aus einer Buchillustration von Ephraim Mose Lilien

Zum hundertsten Todestag von Karl Emil Franzos

T o d e s n a c h r i c h t e n.
In Berlin † am 28. Januar Karl Emil F r a n z o s  im Alter von 55 Jahren. Er war am 25. Oktober 1848 als Sohn eines Arztes in Czortkow an der russisch= österreichischen Grenze geboren, besuchte das Gymnasium in Czernowitz und bezog 1867 die Universität Wien, um die Rechte zu studieren. Nachdem er zuerst als Lyriker hervorgetreten war, machte er sich durch seine vorzüglich beobachteten Skizzen "Aus Halb=Asien", die anfangs der Siebzigerjahre zuerst in der "Neuen Freien Presse" erschienen, rasch einen geachteten Namen in der litterarischen Welt. Diese Kulturbilder aus Galizien, der Bukowina, Südrußland und Rumänien wurden in die meisten lebenden Sprachen übersetzt. Es folgten 1877 die Novellen "Die Juden von Barnow", 1822 der Roman "Ein Kampf ums Recht", der das Kohlhaas=Motiv behandelt, 1890 die Erzählung "Judith Trachtenberg". Diese bekanntesten von Franzos Büchern spielten alle auf dem ihm nächstvertrauten östlichen Boden, in ihnen und den meisten seiner anderen Bücher spielt auch die in Südosteuropa besonders geartete Judenfrage eine beherrschende Rolle. Von 1877 bis 1886 redigierte Franzos in Wien die "Neue illustrierte Zeitung", 1887 siedelte er nach Berlin über, wo er die von ihm gegründete Halbmonatsschrift "Deutsche Dichtung" herausgab. Vor etwa zehn Jahren rief er den Verlag "Concordia Deutsche Verlagsanstalt" ins Leben. Von verschiedenen Sammelwerken, deren Urheber er war, ist besonders "Die Geschichte des Erstlingswerkes " (1895) hervorzuheben.


Das Literarische Echo.
Jg. 6, Heft 10 v. 15.2.1904, Sp. 739f.

Margarete Hüttig: Galizien. Reiseerinnerungen.
In: Die Bergstadt Jg. 3.2 (1915), S. 501.


Feuilleton.
Briefe von Ludmilla Assing.
Mitgetheilt von  K a r l  E m i l  F r a n z o s
Königlich privilegirte Berlinische Zeitung von Staats= und gelehrten Sachen. Vossische Zeitung. Morgen=Ausgabe Nr. 135 v. 21. 3. 1902.
[Einleitung]
Als ich im Frühling 1880 zuerst einige Wochen in Berlin verweilte, war Ludmilla Assing eben (29. März 1880), in einem Irrenhause zu Florenz verstorben. Man sprach hier sehr viel von ihr, und wenig Gutes; es waren zumeist Anekdoten, in denen ihre Boshaftigkeit, ihr dann so tragisch verwirklichter Wunsch, zu heirathen, eine Rolle spielten. Ich konnte nicht recht mitlächeln, so lustig die Sächelchen waren, und mußte immer sagen: "Das ist nicht gerecht; sie war anders, sie war besser". Meine persönlichen Eindrücke zwangen mich zu diesem Widerspruch. Ich war im Winter 1873 auf 1874 einige Monate in Florenz, verkehrte viel mit ihr und verdanke ihr manche gütige Ermuthigung in den bitter schweren Anfängen meines Schriftstellerlebens. Wer gegen einen unbekannten jungen Menschen so mild und theilnahmsvoll war, kann nicht schlechten Herzens gewesen sein. Verbittert freilich war sie, aber sie hatte doch wahrlich einigen Grund dazu: man denke an die Strafprozesse, die sie aus der Heimath gejagt hatten, an die Art, wie man schon damals in Berlin über sie urtheilte. Auch unterschätzt konnte sie sich und ihr Lebenswerk, die Herausgabe von Varnhagens Tagebüchern, mit Recht fühlen; das Urtheil über diese merkwürdigen Aufzeichnungen ist heute ruhiger und gerechter als vor dreißig Jahren; niemand wird sie mehr als bloßen Klatsch verwerfen, freilich auch niemand den Zug des Kleinlichen und Hämischen darin verkennen; alles in allem eine Chronik, die man nicht missen mag; sie bewahrt tausend Details auf, die sonst spurlos verweht wären, und vieles, was einst als Klatsch verworfen wurde, ist uns heute als bezeichnende Anekdote werthvoll. Aber auch wer etwa anders darüber dächte: vor der Pietät und dem Muth, mit dem das alternde Mädchen, immer mehr verlassen, immer heftiger angefeindet, Band auf Band erscheinen ließ, bis die Arbeit gethan war, wird jeder Respekt haben müssen.
Freilich that sie es nicht blos für den Oheim, sondern auch für sich selbst. Ich denke dabei nicht ans Geld, das ihr die Veröffentlichung brachte - nebenbei bemerkt, weniger Geld, als man damals glaubte - nicht einmal an den Ruhm, den sie davon auch für sich erhoffte, sondern weil sie sich mit Varnhagen so völlig eins fühlte, wie wohl selten ein Mensch mit dem andern. Sie dachte wie er, fühlte wie er, liebte und haßte, was ihm hoch oder niedrig stand, schrieb seinen Stil und - seine Handschrift; nur ein geschärftes Auge wird einen Brief, eine Manuskriptseite Varnhagens von denen Ludmillas unterscheiden. Mochte dies ursprünglich mühselige Angewohnheit gewesen sein, in der Folge wurde es Natur. In jenen Tagen, wo ich sie oft sprach, las ich auch die "Tagebücher" - wie oft frappirte mich die Aehnlichkeit ihres Denkens, ihrer ganzen Persönlichkeit mit der Varnhagens; "frappirte" sage ich, denn sie äußerte sich so stark, daß man immer wieder verblüfft sein konnte. "Nun ja, seine Aeffin", hörte man vor zwanzig Jahren hier oft sagen. Mit Unrecht: sie war mehr als eine Kopie, sie war ein zweiter Mensch derselben Art, lebendigsten Geistes, von einer Breite und Weite des Interessenkreises, wie ich ihn kaum je bei einer Frau gesehen habe, im tiefsten Kern eine enthusiastische Natur. Innerlich und äußerlich unharmonisch, hatte sie sehr verschiedene Stunden; in den guten war sie bedeutender als ihre Bücher, obwohl man auch diese nicht gering schätzen darf; im mündlichen Verkehr gab sich ihre Fähigkeit desfeinen, scharfen Charakterisirens zwangloser und packender; daß sie dann im Eifer auch manches sagte, was sie nicht im Ernste hätte verantworten können, ist selbstverständlich. Erwog man ihre ganze Art, sich zu geben, so war man sehr geneigt, ihrer Versicherung zu glauben: Das Beste, was sie geschrieben habe, seien doch ihre Privatbriefe.
Das war aber auch das Einzige, wogegen damals niemand etwas einwendete, wenn ich von der unglücklichen, viel verlästerten Frau sprach. "Freilich", sagte man mir, "lesbar dürften ihre Briefe sein, auch pikant, aber voll Gift und Galle, voll Klatsch und Tratsch!" Das schien mir aber auch kein gerechtes Vorurtheil; es praßte mir nicht zu der Persönlichkeit, wie ich sie aufgefaßt hatte. Disputiren freilich konnte ich damals darüber nicht; ich kannte keine Briefe von ihr, so wenig wie die Leute, die dies sagten. Immerhin war es nur die Erinnerung an jene Florentiner Wochen, wie an die Berliner Dispute von 1880, und nicht der Wunsch, meine Autographen=Sammlung zu bereichern, der mich vor 14 Jahren bewog, bei der Dresdener Auktion, wo die Briefe an Gustav Kühne zur Versteigerung kamen, das Bündel "Assing an Kühne" zu erwerben. Ich las es dann flüchtig durch, und mein Eindruck war: "Da hat mich also einst doch mein Instinkt nicht getrogen! Wer so liebevoll und treu schreiben konnte, war doch im Kern gut!" Denn freilich traf ich auf minder Harmloses, aber bösartig war es auch nicht. Manches schien mir schon damals der Veröffentlichung nicht unwerth. Dann legte ich das Bündel an seinen Platz, und da blieb es bis vor wenigen Wochen unberührt liegen, bis mir ein Unwohlsein unerwünschte Muße zur Beschäftigung mit meiner Sammlung gab. Und wie ich nun die zierlich beschriebenen Blätter las, da wurde mir die Erinnerung an 1874 und 1880 wieder lebendig, und ich sagte mir: "Es ist nichts Großes und Wichtiges, aber manches Hübsche und Bezeichnende, wovon namentlich der Berliner gern hören wird. Und wählst du sorglich aus, so ist's in seiner Art ein Denkzeichen an eine Unglückliche, die einst gütig zu dir war und noch heute, wie vor zwanzig Jahren, recht ungerecht beurtheilt wird.

Varnhagen Gesellschaft 03.02.2004