Weihnachten 1847 mit Ludmilla
Assing und Feodor Wehl
Im Herbst 1847 hatte der Journalist, Bühnenautor und Dichter Feodor
Wehl (1821-1890) gemeinsam mit Georg Schirges die Redaktion des bei Julius
Campe in Hamburg erscheinenden Telegraph für Deutschland übernommen.
War das Blatt bis 1843 das publizistische Flaggschiff von Karl Gutzkow
gewesen, so übernahm jetzt Feodor Wehl im Auftrag des Verlegers das
Feuilleton, für das Ludmilla Assing schon einige Jahre zuvor, während
seiner Festungshaft, Beiträge in Wehls Namen verfaßt hatte.
Später bediente sie sich, vor allem bei ihren dichterischen Arbeiten,
des Pseudonyms "Achim Lothar". Die Weihnachtstage verbrachte
Wehl in Berlin und fand sich auch im Salon der Gräfin Elisa von Ahlefeldt
ein, wo auch Ludmilla Assing verkehrte.
Wenige Monate später, im März 1848, brachte der Telegraph Augenzeugenberichte
vom Berliner Barrikadenkampf, die aus Ludmilla Assings Feder stammten
und z. T. in ihrem und im Tagebuch ihres Onkels Karl August Varnhagen
von Ense erschienen. Feodor Wehl, der Ludmilla Assings schwärmerische
Liebe nicht erwiderte, blieb ihr zeitlebens ein guter Freund und langjähriger
publizistischer Bündnispartner. Mehr über die Feodor Wehl und
Ludmilla Assing in Nikolaus Gatter: "Letztes Stück des Telegraphen.
Wir alle haben ihn begraben helfen..." Ludmilla Assings publizistische
Anfänge im Revolutionsjahr,
in: Internationales Jahrbuch der Bettina-von-Arnim-Gesellschaft 11/12
(1999-2000): Umbruch der Kulturen - die europäischen Revolutionen
von 1848/49. Hg. v. Wolfgang Bunzel, Uwe Lemm u. Walter Schmitz, Berlin:
Saint-Albin-Verlag, S. 101-120.
...aus dem Tagebuch Ludmilla Assings vom 24., 25. und 30./31.
Dezember 1847 (Sammlung Varnhagen, Kasten Assing/19-23, Biblioteka Jagiellonska,
Krakau):
Den 24. Weihnachten. Den ganzen Tag mit Spannung und Ungewißheit
an Wehl gedacht, so daß ich nichts thun konnte. Abends erst zu Caspers,
wo alles ziemlich zerstört war, dann zu Solmars. Geheimräthin
Salla, Frl. von Crayen, die ihr Mädchen mitnahm, um dem Portier seinen
Weihnachten geben zu können. Martens und Sternberg. Des Onkels Muthwillen.
Mariens Traurigkeit. Wie ich nach Hause kam, fand ich - ein Album mit
lauter Hamburger Ansichten von Wehl, und dabei ließ er sagen,
morgen würde er kommen. Ich war voll Dank gegen das Schicksal, die
Freude wogte in mir wie ein hochaufschäumendes Meer. Wie soll ich
schlafen? fragte ich mich voll Wonne. Ich glaubte die Freude würde
mich nie mehr einschlafen lassen. Ich ging um 2 Uhr zu Bett und stand
bald wieder auf um im Zimmer auf und ab zu gehen die Mondscheinbeleuchtete
Straße anzusehen. Den andern Morgen den 25 wachte ich mit
einem seltsamen Schmerz auf der rechten Seite auf, mir war es, als schlüge
und klopfe mein Herz plötzlich auf der rechten Seite, dann wieder
fühlte ich seinen Schlag auf den Lippen beben. Dabei war mir seltsam
beklommen. Daß ich nichts thun konnte, versteht sich von selbst.
Ich stand am Fenster und wartete und wartete. Die alte Aufregung und Unruhe
wie voriges Jahr, wie ewig. Endlich um 4 Uhr erschien er. Freundlich,
schön, ach wie nur Er sein kann. Aber noch sehr leidend er
kann gar nicht recht gehn; er kam eben aus dem Bade, und sagte zu mir
sei sein erster Weg. Gestern Abend kam er erst um halb 9 Uhr zu der Gräfin.
Er dankte mir für meine Telegraphenarbeiten, und mahnte ich hätte
Talent besonders zu Schilderungen aus der Gesellschaft, ich müße
einmal etwas Größeres schreiben über die hiesigen Persönlichkeiten
zum Beispiel. Ich meinte das sei zu gefährlich. Er sagte, ich könnte
ja meinen Namen Achim Lothar aufgeben und mich Achim Stern oder sonst
wie nennen. - Zu Mundts wollte er erst gar nicht hin, weil sie ihn so
vernachlässigt hätten; ich beredete ihn dazu. - Von der Wilhelmi,
auf die er gern das Gespräch zu bringen scheint, erzählte er,
er habe sie in ihrer ersten Rolle Judith in Uriel getadelt aus Diplomatie,
worüber er sie aber in Thränen gefunden habe. - Fannys Bitte
ihre Reise nach Oldenburg im Telegraphen zu erwähnen. Seine Antwort
an Therese, es mache ihm Vergnügen für ein Blatt zu schreiben,
was keiner liest. - Mittag zu Mundt. Hofräthin, Anna. Herrmann. Mundts
Witz Romea und Julius. Muntre Launen. Mundts, denen ich mein Unwohlsein
klagte, sagten mir, diese Art von Herzschlag entstehe aus der höchsten
nervösen Aufregung. Doctor Märker erschien auf ein Weilchen.
Die Kleine reitzend. Abends kam Wehl. Das Gespräch kam aber nicht
recht in Fluß. Wehls Bemerkung, es sei böser Wille von mir
daß ich nciht mehr Clavier spiele. Geschichte des Duells zwischen
Marx und Schlönbach. Hagens brüskes Wesen. Molls Bosheit.
[...]
Den 30. Am Morgen ihm geschrieben und die Antwort erhalten daß
er am Nachmittag mit heran kommt. Der Onkel ist wieder gut. Da dieser
sich so sehr zu wundern schien daß ich gar nicht mehr aus der Thüre
ging, so beschloß ich die Zeit zu benutzen um Besuche zu machen.
Ich war aber aus allen Beziehungen so weit fort gerückt daß
ich mein Wohnungsverzeichniß der Bekannten erst nachlesen mußte,
um mich zu erinnern, wen ich etwa besuchen könnte. Dann ging ich
zu Frau von Treskow.Fr. Hochstädter. Ada's Bild. Und zu Caspers,
die ich nicht traf. Abends um halb 6 kam Wehl, und wie er gleich verkündigte,
zugleich um Abschied zu nehmen. Er sagte, auf so ein paar Tage käme
er nicht wieder nach Berlin, niemand habe etwas davon. Er meinte, wenn
er immer so viel eingenommen habern würde, wie jetzt in Hamburg,
er hätte schon Capitalien zurücklegen können. Neue Klagen
über Mundts; Mundt kommt ihm vor wie eine Art Beta. Wie wir es hübscher
fänden einander vor den Leuten immer zu tadeln statt immer zu loben,
wie Mundts. Seine Verwunderung, daß Mundt nichts mehr liest. Die
Birch als scheues Reh. Wie Therese klagte daß er sich ihr nicht
genug mittheile, und nicht wußte, wie sie sein Verhältniß
zur Wilhelmi nehmen solle. Er sieht die Wilhelmi übrigens täglich.
Meine Freude darüber daß er von selbst einsieht, wie Therese
Allen gleich gut gefallen will. Die Wolke zwischen Therese und Gutzkow
entstanden durch Wehls ungerechte Anzeige der Novelle Sigismund. Wehls
Furcht daß das geistreiche Amazonenheer den Männern über
den Kopf wachsen möchte. Ich sagte zu ihm: wie doch viele Wünsche
so langsam erfüllt würden, so auch der endlich, den ich so lange
gehabt, daß er länger mit der Wilhelmi zusammen sei. Da schlug
er die Augen nieder und antwortete keine Sylbe, so daß eine lange
Pause entstand, bis ich von etwas anderem anfing. So listig ist er! Er
weiß, daß ich ihm alles nur aus den Augen heraus lese, und
um das zu verhindern schlug er sie nieder! - Er bat sich einen meiner
Handschuhknöpfer aus. Gespräch über die Vauer. Es hatte
alles wieder einen etwas herzlicheren Anflug, doch war mir sehr weh zu
Muth. Abschied von ihm! - So ist alles wieder hin und ich unendlich allein.
- Wenn ihm auch alle Welt gesagt hätte, ich sei in ihn verliebt,
wenn er es sogar glaubte, einer Sache bin ich gewiß, wie
ich ihn liebe, weiß er nicht, weil von der Größe und
Tiefe dieser Liebe niemand eine Ahnung hat! -
Den 31. Sylvesterabend allein zu Hause. Wie war dieses Sehen ein
so schattenhaftes, skizzenhaftes Glück! Wie das Lösen eines
Briefsiegels, wie eine Sternschnuppe, im Moment verflogen! - Wie er, was
er von mir denkt, ich weiß es nicht mehr! - wie dem aber auch sei,
möge er es jemals wissen, oder nie erfahren dürfen, meine ganze
Seele habe ich ihm verschrieben, jeden Pulsschlag, jeden Athemzug! Möge
sich alles gnädig wenden, möge ihm das Schicksal Glück
und Wonne und Ruhm und Seeligkeit geben und milde mit mir verfahren!
Varnhagen Gesellschaft, 26.
Dezember 2005
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